Die Schönheit der kleinen Dinge…

.... und ein Hoch auf die leisen Zwischentöne

Ich weiß nicht wie es dir gerade geht, aber ich habe das Gefühl, in dieser Zeit werden wir komplett auf uns selbst zurückgeworfen. Die Ablenkung von außen ist minimiert und das Leben hat einen Gang zurück geschaltet, ist langsamer geworden. Keine großen Events, keine großen Partys, keine großen Reisen. Das stellt viele Menschen und vor allem die Unternehmen vor Schwierigkeiten, das möchte ich nicht kleinreden. Ich habe aber den Eindruck, dass wir mental gut durch diese Krise kommen, wenn es uns gelingt, kreativ mit der Situation umzugehen.

Eine Möglichkeit kann sein, die Schönheit der kleinen Dinge zu entdecken. Die sind überall und jederzeit wahrnehmbar, wenn wir unsere Sinne dafür sensibilisieren. Der kurze Spaziergang im Schnee direkt hinter dem Haus. Der eine Tag, an dem die Sonne vom blauen Himmel scheint. Die ersten grünen Spitzen der Tulpen im Blumenbeet. Der Genuss einer leckeren, selbstgekochten Mahlzeit oder das Entdecken eines aromatischen, noch nie versuchten Rezeptes. Das angenehme Gefühl eines flauschigen Pullovers, das den Tag zu Hause so gemütlich macht. Die Sprachnachricht der besten Freundin, die liebe Grüße sendet und sich erkundigt, ob alles gut ist bei mir.

Auch in der Kunst haben die feinen Details eine große Wirkung. Früher dachte ich, nur das große Ganze muss passen. Der großartige Schwung, die Farben, die plakativ aus dem Bild springen, die großartige Bildidee. Mittlerweile weiß ich, dass Kleinigkeiten eine ganze Menge im Bild verändern. Und bewirken. Sei es eine Linienspur am Rand, die noch mal den Blick im Bild hält. Sei es die eine stark abgesetzte Fläche, die den Blickpunkt bildet. Oder viele fein nuancierte Farbtöne, die den Farbklang komplex machen. Aber auch die nicht geglückte Form, die den Blick vom eigentlichen Bildaufbau ablenkt und im Bild gar nicht benötigt wird. Ohne die die Bildaussage viel klarer ist. Diese Details haben eine große Macht, das Bild anders wirken zu lassen.

Will Grompertz stellt in seinem Buch „Denken wie ein Künstler“ die These auf, dass Künstler das große Ganze UND die kleinen Details sehen. Dazu Will Grompertz: „Ein winziger Farbklecks kann die Wirkung des größten Gemäldes radikal verändern.“  Und weiter: „Jedes Gemälde hat einen Eintrittspunkt. Ein kleines Detail, das Ihnen ins Auge springt und Sie hineinzieht.“ erklärt der Künstler Luc Tuymans, den Grompertz in seinem Atelier besucht.

Diese Erfahrung habe ich in unzähligen Bildbesprechungen im Atelier ebenfalls gemacht. Um zu prüfen, ob das eine oder andere Detail für die stimmige Gestaltung im Bild notwendig ist, bedecke ich es bei der Bildbesprechung mit der Hand. Wenn es nicht sichtbar ist, wird sofort klar, was diese Kleinigkeit mit dem Bild macht, ob es „etwas für das Bild tut“. Oder vielleicht sogar dagegen arbeitet und ob es wirklich nötig ist.

Eine große Bereicherung können Farbklänge sein, die viele Zwischentöne beinhalten. Minimale Farbunterschiede, die mal ein bisschen kälter, mal ein bisschen wärmer daherkommen können. Zarte Helligkeitsunterschiede oder auch differenzierte Farbqualitäten (also reine oder getrübte Farben) machen das Bild lebendig und stimmig, ohne nur auf die ganz großen Kontraste zu setzen. Auch hier ist mir erst in den letzten Jahren klar geworden, welch interessante, vielschichtige Wirkung solch eine Farbgebung hat. Ich erreiche dies ganz einfach, indem ich meine Grundtöne mit verschiedenen Mischtönen auf der Leinwand verblende z. B. mit Titanweiß, Elfenbein, Hellgrau oder Kieselgrau. So entstehen mit leichtem Übergang und zartem Schwung viele verschiedene Nuancen. Deswegen liebe ich das Verziehen der Farbe auf der Leinwand so sehr, denn es entstehen so mit Leichtigkeit viele wunderbare Zwischentöne. Aber auch wenn du gerne Monochrom malst, können die feinen kleinen Dinge enorm wichtig sein. Stell dir vor, du malst ein weißes Bild. Die großen Kontraste kannst du nicht einsetzen, dann wäre es ja nicht mehr weiß. Wenn du die Farbe jedoch reduzierst, werden die anderen Stilmittel umso wichtiger. Minimale Farbunterschiede in den Weißtönen (also dem Weiß ganz wenig von anderen Farbtönen zusetzen) oder Strukturen und Texturen zum Beispiel. Matte und glänzende Oberflächen im Bild. Ein feines, zartes Linienspiel. Das kann auch ein Gestaltungsansatz sein, ein minimalistischer. Naja, ich weiß, so ganz leise sind meine Arbeiten selten. Aber ich denke, du weißt, was ich meine.

Dieser Artikel soll allerdings nicht als Plädoyer für zu großen Perfektionismus gesehen werden. Es bringt auch nichts, allzu genau zu sein und sich an unwichtigen Details festzubeißen. Dazu noch einmal Will Grompertz: „Wer zu viel Zeit mit den Details verbringt, verläuft sich. Wer aber nur über das Gesamtbild nachdenkt, wird nichts erschaffen oder verknüpfen.“ Wichtig ist, zu unterscheiden, welche Details notwendig sind und welche nicht. Je feiner unsere Wahrnehmung arbeitet, desto klarer wird es, worauf es ankommt.

Denn es gibt nicht nur Extreme, nicht nur Schwarz oder Weiß, Hell oder Dunkel, Gut oder Schlecht, Tag oder Nacht. Sondern unglaublich viel dazwischen. Wer einmal einen sommerlichen Wolkenhimmel beobachtet oder sogar gemalt hat, der weiß, was ich meine. Auf den ersten Blick sieht es aus, wie blauer Himmel mit weißen Wolken. Schön. Aber wenn du dich darin vertiefst, kannst du mehr und mehr Farbtöne entdecken. So einfach, wie es zunächst scheint, ist es nicht und die Vielfalt und Schönheit offenbart sich oft erst bei längerem Hinsehen. Die Zwischentöne und feinen Farbabstufungen lassen die Wolken plastisch erscheinen, geben Tiefe, lassen den Himmel leuchten und lebendig wirken. Und dass, obwohl zunächst nur Blau und Weiß zu sehen war.

„Glück entsteht oft durch die Aufmerksamkeit in kleinen Dingen,
Unglück oft durch Vernachlässigung kleiner Dinge“ Wilhelm Busch

Das leben wir im Augenblick: Die Zwischentöne. Wenn etwas im Leben wegfällt, dann ist Platz für Anderes, vielleicht sogar Neues. Und die Summe der schönen kleinen Dinge machen dann doch den Unterschied beim großen Ganzen, oder?

Viel Freude bei allen Experimenten,
lass Farbe fließen

Angelika

 

 

 

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